Sehr geehrter Herr Schäuble,
vielen Dank für Ihre Rede zum Anschlag von Hanau. In vielem ist Ihnen nur zuzustimmen. Die Morde von Hanau waren entsetzlich und menschenverachtend und Beifallsbekundungen jeder Art sind selbstverständlich nichts anderes als pervers, widerwärtig und drücken eine fürchterliche Verrohung aus. Ich halte es genau wie Sie für dringend geboten, diesen Entwicklungen in aller Entschiedenheit entgegenzuwirken.
Und deshalb befürworte ich auch Ihre Forderung nach „aufrichtiger Selbstkritik der Politik“. Diese seltene Gelegenheit möchte ich aber vor allem dazu nutzen, Ihre Ausführungen noch um ein paar wichtige Punkte zu ergänzen.
Linksextreme Gewalt wird auch unterschätzt
Da wäre natürlich zum einen der Hinweis darauf, dass die Politik nicht nur den rechten sondern natürlich auch den linken Extremismus bis heute unterschätzt. Gegenwärtig ist der rechte ohne Zweifel deutlich gewalttätiger, zumindest hierzulande, aber nach Stalin, Mao, RAF und vielen anderen wissen wir, dass Linke in ihrer Bereitschaft zu Gewalt den Rechten ziemlich ebenbürtig sind. Und die jüngsten laxen Bemerkungen in der Linkspartei über Erschießungen von Klassenfeinden, die von wichtigen Parteivertretern mit launigen Gulagwitzen gekontert wurden, lassen fürchten, dass die gegenwärtige relative Friedfertigkeit in Teilen der politischen Linken nur eher taktisch ist. Zumindest wirkt eine Distanzierung von linkem Terror vor diesem Hintergrund nicht sehr glaubwürdig. Aber einverstanden, das wäre in einer Rede zu Hanau wohl unpassend gewesen.
Passend wäre es aber gewesen, selbstkritisch die mangelnde Schärfe der Begrifflichkeiten in Politik und öffentlicher Debatte etwas mehr zu thematisieren. Sie sprechen ja schon davon, dass man Menschen nicht „allzu leichtfertig abstempeln“ sollte, u.a. als Rechte und in bestimmten Fällen nicht gleich von Rassismus sprechen sollte.
Nachsicht für rechte Versager
Dann führen Sie aber nur aus, dass wir denjenigen mit Verständnis begegnen sollten, „die durch ein empfundenes zu viel an Veränderungen meinen, zunehmend an Halt zu verlieren“. Weil ihre Gefühle legitim seien. Und wer „Vielfalt mit Skepsis begegnet“ und als überfordernd empfindet weil er sich „auf der Verliererseite wähnt“ sei „noch kein Rassist“. Noch wohlgemerkt. Also keine allzu schnelle Verurteilung der dummen Loser, die sich Probleme einbilden und die Schönheit und Unausweichlichkeit der bunten neuen Welt nur noch nicht verstanden haben? Nachsicht für den blöden Pöbel.
Sonst aber stünden Politiker in der besonderen Verantwortung, Menschen, die extremistisch oder rassistisch ausfällig würden, „außerhalb unserer demokratischen Ordnung und jenseits bürgerlichen Anstands zu verorten“. Sie sagen ja richtigerweise, dass dort eine Grenze zu ziehen ist, wo Würde und Rechte des Individuums verletzt werden. Dann aber fügen Sie ganz nebenbei den „Hass auf das Fremde“ als weiteren Grund für eine notwendige Verortung außerhalb des Kreises der guten Bürger hinzu. Wer Hass verbreite und Hetze betreibe, gehöre also noch konsequenter geächtet.
Wo beginnen denn Hass und Hetze?
Aber Hass auf das Fremde, Hetze – was heißt denn das genau? Ist man auszugrenzen, wenn man voller Leidenschaft Stierkämpfe verachtet und sie öffentlich als unmenschliches Kulturgut ablehnt? Müsste das nicht unter „Hass auf das Fremde“ fallen? Oder wenn man Schamanismus albern und Sumo-Ringen ekelig findet? Wenn man vom südamerikanischen Panflöten-Orchester in der Fußgängerzone genervt ist? Oder doch erst wenn man den Islam doof findet und daraus kein Geheimnis macht?
Ein zentrales Problem ist doch, dass wir uns in der Ablehnung von Rassismus bereits völlig einig sind, aber komplett uneinig darüber, was das denn eigentlich genau bedeutet. In der Verurteilung sind wir uns sogar so einig, dass sich selbst Rassisten gegen Rassismus aussprechen und wohlklingende Konzepte wie den Ethnopluralismus erfinden. Wer spricht sich schon für Rassismus aus? Aber es scheint fast, dass mit der Schärfe der Ablehnung die Unschärfe der Definition zunimmt. Das gleiche gilt für Begriffe wie Rechtsextremist, Faschist, Nazi usw., die praktisch synonym verwendet werden.
Nix ist billiger zu haben als ein Nazi-Vorwurf
Vor wenigen Tagen wurde der Sportdirektor von Borussia Mönchengladbach in aller Öffentlichkeit als Nazi diffamiert. Sein Vergehen war, dass er angesichts von Schmähbeleidigungen aus dem eigenen Publikum gegen den Mäzen eines anderen Clubs geäußert hatte, dass er sich ein „sauberes Stadion“ wünsche. Mehr nicht! Daraufhin wurde ihm unterstellt, sich für Säuberungsaktionen wie im Nationalsozialismus auszusprechen. Vollkommen absurd, oder? Es reicht in diesen Tagen offensichtlich buchstäblich ein einziges, völlig harmloses Wort allein, dass, nur hauchzart ungeschickt verwendet, zum öffentlichen Nazi-Vorwurf führen kann! Wie viele sind viel ungeübter im Umgang mit druckreifen Formulierungen, wollen aber völlig legitime Kritikpunkte im Zusammenhang mit Migration äußern?
Herr Schäuble, mit Ihrer Rede erhöhen Sie den Druck, aber zur Klarheit über das zu Verurteilende tragen Sie nichts bei. Nach Ihrer Rede werden die Menschen wohl wieder ein kleines bisschen mehr fürchten, stigmatisiert zu werden, wenn sie vielleicht einen Zusammenhang zwischen der schlechten Menschenrechtslage in islamischen Ländern und kulturellen oder religiösen Überzeugungen diskutieren möchten. „Ressentiments gegenüber dem Fremden“, kein „Ertragen von Verschiedenheit“, „Skepsis gegenüber Vielfalt“, „Hass auf das Fremde“ im „Resonanzraum, in dem sich Fremdheitsgefühle erst radikalisieren“! Eine Mitschuld an Hanau also?
Der Nazi- oder Rassismusvorwurf ist eine immer dickere und härtere Keule, die immer wilder und hemmungsloser herumgeschleudert wird und jeden trifft, der sich nicht flach auf den Boden legt. Nach Ihrer Rede darf man vielleicht hoffen, auf Unzurechnungsfähigkeit plädieren zu können, aber dafür werden die Menschen noch stärker in die Pflicht genommen, sich am Schwingen der Keule zu beteiligen. Herr Schäuble, ich fürchte, Ihre Rede ist eher ein weiterer kleiner Beitrag zur Eskalation. Schade.
Ein bisschen mehr Selbstkritik wäre schon drin gewesen, oder?
Mit freundlichen Grüßen,
Gero Ambrosius