Sehr geehrte Damen Kaufmann und Skudelny, sehr geehrte Herren Träger und Hollstein,
kürzlich habe ich ein Interview mit Ihnen in der WELT gelesen und es macht mich sehr betroffen, dass Sie alle aufgrund Ihrer Arbeit mit Morddrohungen konfrontiert sind oder sogar bereits tätlich angegriffen wurden. Es ist erschreckend, mit welchem Hass Sie konfrontiert werden. Ich hoffe sehr, dass Sie und Ihre Familien alle bei guter Gesundheit bleiben! Und ich stimme Ihnen zu, dass die Vorfälle ein erschütterndes Bild vom Zustand unserer Gesellschaft zeichnen und wir eine ernsthafte Bedrohung unserer Demokratie erleben.
Etwas betroffen macht mich allerdings auch, dass Sie sich dem Eindruck nach wenig mit eigenen Anteilen an der gesellschaftlichen Problematik auseinandersetzen. Für die Angriffe auf Sie sind selbstverständlich ganz allein die Täter verantwortlich – aber für die abnehmende Sachlichkeit in den Kontroversen, die Emotionalisierung, die Polarisierung in der Gesellschaft, die solche Taten begünstigt?
Bedrohte Meinungsfreiheit
Ihre Kritik an sich selbst bestätigenden Echokammern ist ja zutreffend, aber warum ziehen sich denn die Menschen in diese Filterblasen zurück? Wieso geben in einer Allensbach-Studie von vergangenem Mai nur noch erschreckende 18% der Befragten an, dass sie in der Öffentlichkeit ihre Meinung frei äußern würden?
Sie wollen sich für die Demokratie einsetzen, aber gleichzeitig beklagen Sie vermeintlich gelockerte „Grenzen des Sagbaren“? Völlig unbekümmert befürworten Sie damit eine Einschränkung des demokratischen Grundrechts auf Meinungsfreiheit und fordern offenbar noch eine Verschärfung.
Ich fürchte, so erzeugen Sie genau die Angst, den Rückzug und die Wut, die Sie an anderer Stelle beklagen. Denn es hat ja Konsequenzen über den legitimen Widerspruch hinaus, wenn man Ihre Grenzen des Sagbaren übertritt – bislang keine rechtlichen, aber soziale, von Ausgrenzungen in Familien- und Freundeskreis über berufliche Nachteile bis hin zu öffentlicher Stigmatisierung oder ebenfalls Bedrohung durch Extremisten.
Redefreiheit statt Moralisierung
Und mit Ihren wenig respektvollen Bemerkungen über Menschen, die sich mit ihren „spinnigen Ideen“ und ihrem „Quatsch“ vom „normalen Leben abkoppeln“ um in ihrem „Mikrokosmos“ ungestört ihren „Hass verbreiten“ zu können, beteiligen Sie sich an der öffentlichen Herabwürdigung. Dabei sind Ihre Eingrenzungen der Meinungsfreiheit durch nichts legitimiert und nur eine diffuse Markierung dominierender Moralvorstellungen. Wer hat denn die Deutungshoheit, wer entscheidet, was sagbar ist? Die gewählten Volksvertreter? Die Rundfunkräte, Gewerkschaften, Sozialverbände? Die Kirchen, der Papst? Oder der Konsens der Gelehrten? Das ist doch nicht demokratisch!
Wenn wir die Polarisierung überwinden und die Emotionen etwas besänftigen wollen, sollten wir dann nicht zum demokratischen Konsens einer möglichst bedingungslosen Meinungsfreiheit zurückfinden? Sollten wir nicht abrüsten und Konzepte wie das einer „Grenze des Sagbaren“ auf den Müllhaufen werfen? Sollten wir nicht statt Verunglimpfung und Ausgrenzung lieber den respektvollen Umgang mit dem politischen Gegner kultivieren?
Den Rechtsstaat achten
Wir haben in unserem Rechtsstaat doch bereits klar definierte Grenzen der freien Rede. Wer sich innerhalb dieser Grenzen bewegt, sollte doch ohne Angst sagen können, was er denkt. Selbst wenn es „Quatsch“ ist. Was wirklich Unsinn ist, können wir im Diskurs demontieren und was unmoralisch aber klug ist, bringt uns alle weiter. Das ist sicherlich anstrengender, aber der Preis der Demokratie. Meinen Sie nicht auch, dass wir so mittelfristig die Debatten versachlichen und den Extremisten etwas den Wind aus den Segeln nehmen können?
Ich würde mich sehr über eine Antwort freuen und wünsche Ihnen und Ihren Familien alles Gute! Ich hoffe, dass Ihre Gegner gefasst und zur Rechenschaft gezogen werden und keinen weiteren Schaden anrichten können.
Mit bestem Dank und freundlichen Grüßen,
Gero Ambrosius
Update 02.02.2020: Herr Hollstein hat mit einer netten Mail auf den Beitrag reagiert, wünscht aber keine Veröffentlichung. Frau Skudelnys Büro ließ mitteilen, mein Anliegen sei in der Bearbeitung…
Update 26.03.2020: Frau Skudelny hat ebenfalls in einer freundlichen Mail auf den Brief geantwortet, wünscht aber ebenfalls keine Veröffentlichung.
Ein Gedanke zu „Zurück zur Meinungsfreiheit! – Brief an bedrohte Politiker aus WELT-Interview“
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